The Inner Frontier

Munich Part 1
Erönnung: 9.5.2025 / 18:00
Laufzeit: 10.5. - 20.6.2025
Ort: @nebyula.rosastern
Künstler:innen: Anna Raczyńska, Michał Zawada
Kuration: Alexander Scharf


Text von Teresa Retzer

In ihrer Duoausstellung The Inner Frontier untersuchen Anna Raczyńska (Leipzig/Warschau) und Michał Zawada (Krakau) geografische, körperliche, politische und psychologische Grenzen. Entstanden im Rahmen eines kulturellen Austauschs zwischen Krakau und München, initiiert von Rosa Stern Space und der Piana Gallery Foundation, inszeniert die Ausstellung sowohl Dialog als auch Konfrontation: zwischen Malerei und Skulptur, Tradition und Transformation, kanonischen Kunstgeschichten und polnischen Perspektiven.

Beide Künstler:innen verbindet eine biografische und künstlerische Verankerung in Polen, doch ihre Arbeitsweisen unterscheiden sich deutlich in Medium und Methodik. Zawada bewegt sich in seiner Malerei zwischen Realismus und Surrealismus und transformiert klassische Landschaftsmotive—Wälder, Vulkane, Sonnenuntergänge—zu spekulativen, posthumanen Bildwelten. Seine Leinwände verströmen eine unheimliche Ruhe: eine Natur, die uns überlebt, gleichgültig gegenüber dem menschlichen Blick. Unter der Oberfläche verbirgt sich eine Kritik an kolonialen Ideologien, männlich geprägten Geschichtsbildern und der Illusion der Kontrolle über Land, alle lebenden Wesen und die Zukunft.

Ausstellungsansicht, The Inner Frontier, in München, mit Arbeiten von Anna Raczyńska und Michał Zawada.

Ausstellungsansicht, The Inner Frontier, in München, mit Arbeiten von Anna Raczyńska und Michał Zawada. Foto: Diogo Frazao

Raczyńskas skulpturale Installationen verlagern ähnliche Themen ins Räumliche. Ihre monumentalen Aluminiumhände wurden digital gezeichnet und maschinell angefertigt, durchspannen den Ausstellungsraum wie schwebende Körper. In Anlehnung an Michelangelos Die Erschaffung Adams (1508-12) evozieren sie keinen göttlichen Funken, sondern eine posthumane Genesis, in der die Begegnung nicht mehr zwischen Gott und (dem) Menschen stattfindet, sondern zwischen Maschine und Fleisch. Die Besucher:innen müssen sich physisch zwischen den Formen bewegen—ein Erleben von Spannung zwischen Schöpfung und Entfremdung, Anwesenheit und Abwesenheit.

Im Zentrum beider künstlerischer Positionen steht die Reflexion über verschiebbare Grenzen: nicht nur geopolitische, etwa zwischen Deutschland und Polen, sondern auch jene zwischen Geschlechtern, Medien, Ideologien und Zuständen des Seins. Dies verdichtet sich in einem gemeinschaftlich entwickelten Wandbild, das sich über den gesamten Raum erstreckt. Die Arbeit reagiert auf aktuelle politische Entwicklungen in Polen—Hinwendung zu Liberalisierung, Trennung von Kirche und Staat sowie eine zunehmende Auseinandersetzung mit dem Erbe kultu eller Restriktion. Die Ausstellung verweigert einfache Zuschreibungen von Identität oder Zugehörigkeit; stattdessen schafft sie einen sinnlichen Erfahrungsraum, in dem solche Konzepte spürbar werden, ohne dass es Erklärungen bedarf.

Malerei von Michał Zawada.

Malerei von Michał Zawada. Foto: Diogo Frazao

Skulptur von Anna Raczyńska.

Skulptur von Anna Raczyńska. Foto: Diogo Frazao

Raczyńskas Materialwahl—Aluminium, Harz, Plexiglas—bekräftigt ihr Interesse an Themen wie Arbeit, Widerstand und der Umschreibung geschlechtsspezifischer Codes in der Kunst und im künstlerischen Arbeiten. Gleichzeitig verweisen die Materialien auf politische und ökonomische Migrationsbewegungen, Machtverhältnisse und soziale Hierarchien innerhalb kapitalistischer Systeme. Ihre Edition, die auf die polnische Błędów-Wüste Bezug nimmt, vereint Folklore mit künstlich geschaffenen Materialien und entfaltet eine differenzierte Reflexion über Künstlichkeit, Mythos und kulturelles Gedächtnis.

Obwohl Polen an Deutschland grenzt, bleibt es im kulturellen Vorstellungsraum großer Teile Deutschlands und auch Münchens weitgehend marginalisiert—zu nah, um als ‚exotisch‘ zu gelten, zu fremd, um wirklich gesehen und verstanden zu werden. The Inner Frontier setzt dieser Ausblendung etwas entgegen. Der Titel verweist nicht nur auf nationale Grenzen, sondern auch auf psychische und symbolische Schwellen—solche, die in Sprache, Körper und Imagination eingeschrieben sind.

In ihrer Zusammenarbeit zeigen Raczyńska und Zawada: Kunst ist nicht nur Ausdruck, sondern ein Akt der Aushandlung und des kontinuierlichen Dialogs—über Formen, Geschichten und Grenzen hinweg. Diese Ausstellung versucht nicht, Spannungen aufzulösen, sondern lässt es zu, in ihnen zu verweilen. In diesem Zustand des Verweilens entwirft sie eine neue Kartografie— der Verluste, des Widerstands und des stillen Potenzials, sich miteinander zu verändern.

Plakat zum Projekt The Inner Frontier.

Plakat zum Projekt The Inner Frontier.

Zurück
Zurück

Widows 95

Weiter
Weiter

REAL WORLD ASSETS