Ñam Ñam

Anna Pasco Bolta im Dialog mit Gonzalo Castro-Colimil
kuratiert von Romana Stehling

16. – 28. Sept 2025
c/off, Siegfriedstr. 11, 80803 München
Öffnungszeiten: Mo-Fr bei Anmeldung

Die dialogische Duo-Ausstellung Ñam Ñam von Anna Pasco Bolta und Gonzalo Castro-Colimil entfaltet ein dichtes Geflecht ökologischer und kultureller Verbindungen zwischen dem Süden Chiles und dem Süden Deutschlands. Ihre Zusammenarbeit, die 2024 in Temuku, Chile begann, übersetzt sich nun in eine räumliche Inszenierung, die materielle, historische und poetische Fäden zwischen diesen zwei weit voneinander entfernten Regionen sichtbar macht, deren Verbindungen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Ausgangspunkt ist die Idee der gegenseitigen Durchdringung, verstanden als biologisches, kulturelles und politisches Prinzip, das ein Denken jenseits fester Abgrenzungen eröffnet.

Im Zentrum steht die historische Achse zwischen Wallmapu, dem überlieferten Territorium des indigenen Volks der Mapuche in Südamerika und Bayern. Mit der gezielten Anwerbung deutscher Siedler*innen ab 1845 und der militärischen Expansion in die Araukanía erfuhr Südchile tiefgreifende Transformationen. Landwirtschaftliche Praktiken, Wissensformen und Sprachen trafen aufeinander und gerieten in Spannungsverhältnisse, die bis heute spürbar sind. Parallel dazu spiegeln diese Bewegungen auch die Krisen Mitteleuropas im 19. Jahrhundert: Gescheiterte Revolutionen, Hungersnöte und die schleppende nationale Einigung trieben viele Deutsche in die Emigration. Diese Bewegungen lassen sich zugleich als Ausdruck territorialer Expansion wie auch als Folge tiefgreifender Verwundungen lesen.

Die Ausstellung Ñam Ñam begreift diese Prozesse nicht als abgeschlossene Vergangenheit, sondern als fortwährende Resonanzräume. In der Münchner Stadtgesellschaft sind Fragen von Migration, Hybridität und kultureller Identität hochaktuell. Esskulturen, Sprachen und Rituale sind hier längst Teil alltäglicher Symbiosen, die selten sichtbar werden, jedoch tief in den sozialen Texturen verankert sind. Ñam Ñam lädt dazu ein, diese unsichtbaren Verbindungen erfahrbar zu machen.

Im Ausstellungsraum entsteht eine dichte Konstellation von Elementen, die in unterschiedlichen Rollen zueinander in Beziehung treten. Die Plastikboxen erscheinen als Skulpturen, Möbel und Behälter zugleich. Sie verweisen auf Mobilität, Zirkulation und die fortwährende Transformation von Wissen, Nahrungsmitteln und Körpern. In einer performativen Geste bietet Anna Pasco Bolta Kartoffeln zur Verkostung an, welche aus Sorten stammen, die in Chiloé beheimatet sind, zubereitet mit Kaolin, begleitet von einer Sauce, die Zutaten und Techniken beider Regionen kombiniert. So entsteht eine unmittelbare Verbindung, in der Kunst, Körper und Gemeinschaft miteinander verflochten sind.

Diese Dimension wird ergänzt durch eine Serie von Zeichnungen auf transparenten Platten, die sowohl an ökologische Netzwerke als auch an innere Organe oder Sedimentationsprozesse erinnern. Sie schlagen eine Brücke zwischen mikroskopischen Strukturen und kosmologischen Vorstellungen und eröffnen Assoziationsräume zwischen Intimität und Landschaft.

Das Video-Essay von Gonzalo Castro-Colimil führt diese Perspektive weiter: Es porträtiert Beatriz Lawentuchefe, eine Kräuterkundlerin und Samenhüterin, die in ihrem Widerstand gegen die Vereinheitlichung agrarökologischer Praktiken die Samen als Träger von Erinnerung, Territorium und Souveränität bewahrt – eine mobile Installation, die einen Austausch vorschlägt und so zu einer Ökologie des Wissens als Antwort auf die Monokultur beiträgt. In diesem Kontext verkörpert der Weizen, eine Pflanze, die im 19. Jahrhundert von deutschen Kolonist*innen eingeführt wurde, die Ambivalenz kultureller Austauschprozesse. Ergänzend dazu erscheint eine historische Landkarte von Wallmapu, die einst von deutschen Geografen erstellt wurde und nun mit einer künstlerischen Intervention überschrieben ist. Diese Arbeit reflektiert die Macht der Kartografie als koloniales Werkzeug und öffnet zugleich Raum für eine Neuverortung territorialer Wissensformen.

Die Ausstellung versteht sich als Auftakt einer kuratorischen Untersuchung. Sie eröffnet keine abgeschlossene Erzählung, sondern skizziert erste Knotenpunkte in einem weitreichenden Geflecht. Die historische Verbindung zwischen Südchile und Süddeutschland wird nicht isoliert betrachtet, sondern mit der Gegenwart in München verknüpft. Die Besucher*innen sind eingeladen, die Relationen zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie zwischen Körper, Territorium und Sprache sinnlich wie intellektuell nachzuvollziehen.

Ñam Ñam stellt damit einen lebendigen Organismus dar, der sich im Ausstellungsraum formiert und zugleich über ihn hinausweist. Die Ausstellung macht historische Verflechtungen und gegenwärtige Symbiosen sichtbar und eröffnet einen Raum, in dem kulturelle Identität nicht als feste Größe, sondern als dynamischer Prozess erfahrbar wird.


Anna Pasco Bolta (*1990 in Barcelona, Spanien) ist eine Künstlerin, die im transdisziplinären Raum zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie arbeitet. Ihre Praxis erforscht existenzielle Strukturen mit bio-poetischen Mitteln und hinterfragt mit performativen, zeichnerischen und partizipativen Strategien die Trennung zwischen Menschen, Spezies und Umwelt. Sie entwirft dialogische Modelle des Zusammenlebens, in denen das Verhältnis zu anderen Lebensformen als wechselseitige und symbiotische Beziehung erfahrbar wird.

Gonzalo Castro-Colimil (*1986 in Temuco, Chiie) ist ein chilenischer Künstler, der in seiner Praxis die Geschichte und Gegenwart des Mapuche-Territoriums (Wallmapu) in den Blick nimmt. Seine Arbeiten beschäftigen sich mit territorialen Dynamiken, Landenteignung, Militarisierung und Prozessen kultureller Neudeutung. Mit Medien wie Installation, Performance und Druckgrafik untersucht er die konfliktreiche Beziehung zwischen dem Mapuche-Volk und dem lateinamerikanischen Staat und macht zugleich die ökologischen und sozialen Folgen extraktivistischer Politiken sichtbar.

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