in quiet, unseen hours
Ort: Kunstverein Kohlenhof
Künstlerin: Leonora Prugger
Laufzeit: 14.09 - 11.10.25





Text von Dr. Janette Witt
Täuschung und Erinnerung. Das sind die zwei zentralen Themen, denen sich Leonora Prugger in ihrer neuen Werkgruppe widmet. Doch die beiden stehen nicht getrennt nebeneinander, sie durchdringen sich in den Gemälden und Installationen. Täuschung und Erinnerung sind eng miteinander verwoben.
Es geht um Täuschung in der Natur – am Beispiel einer bestimmen Gattung aus der Familie der Orchideen, den Ragwurzen (Ophrys). Und um Täuschung der Erinnerung, die mit den Jahren verschwimmt, ihre eigenen Wege geht – bis die Täuschung zur Wahrheit wird. Dies betrifft gerade Ereignisse, die weit zurückliegen. Und so verweist Leonora Prugger in der Ausstellung immer wieder auf Dinge und Begebenheiten aus ihrer eigenen Kindheit in der Heimat Südtirol.
Dieses Verschwimmen und Überlagern greift die Künstlerin auch im Titel „in quiet, unseen hours“ auf. Gemeint sind damit Momente wie die Phase kurz vor dem Einschlafen. Wir sind nicht mehr wirklich wach, gleiten hinüber. Realität und Traum fangen an zu verwischen, täuschen uns.
Die Täuschung in der Natur und die Täuschung der Erinnerung werden in der Ausstellung verwoben, indem Leonora Prugger die Grenzen der Malerei überschreitet: durch die Hängung der großformatigen Bilder im hinteren Galeriezimmer quer zueinander von der Decke hinab. Man muss die Gemälde umschreiten, um sie zu erfassen. Zum anderen durch das Ausgreifen der installativen Elemente in den Raum: Im hinteren Zimmer liegt wohlduftendes Heu auf dem Boden und zieht uns gedanklich direkt auf die Alm. Für Leonora Prugger ist es Symbol für die Erinnerung an ihre Kindheit. Die Eltern der Künstlerin haben das Heu eigens vom Hof in Gröden mitgebracht. Vorne zieht sich schwarz-glitzernder Kunstrasen in den Raum. Wie Schatten spiegeln seine Formen Details der Gemälde. Malerei und Installation ergänzen sich, werden gemeinsam eins.
Für die Täuschung in der Natur hat sich Leonora Prugger mit den sogenannten Ophrys auseinandergesetzt. Die Ragwurzen sind die Königinnen der Täuschung, Mimikri oder Mimetismus genannt. Ihnen geht es nicht um ihren Schutz, etwa die Abwehr von Fressfeinden, sondern im Gegenteil: Sie locken Insekten an, damit diese ihnen bei der Vermehrung helfen und ihr Fortleben sichern. Es gibt verschiedene Arten von Ragwurzen: Bienen-, Hummel-, Fliegen-Ragwurz und andere. Jede schafft es, Insektenmännchen anzuziehen, und zwar durch die spezielle Nachahmung eines Insektenweibchens in Form und Farbigkeit, durch Duftstoffe und sogar durch eine pelzigartige Haptik. Die Ragwurz zählt zu den „Sexualtäuschblumen“. Das Männchen setzt sich auf die Blüte, um das vermeintliche Weibchen zu begatten, nimmt dabei die Pollen auf und trägt diese zum Bestäuben weiter. Doppelte Täuschung: Das männliche Insekt bekommt weder das Weibchen noch den Nektar als Lohn.
Doch die Ophrys täuschen nicht nur. Sie kooperieren auch: Mit bestimmten Pilzen gehen die Ragwurzen eine Symbiose ein, ohne die sie nicht überleben könnten. Diese Pilze hat Leonora Prugger durch kleine, bunt im Heu stehende Gipsformen dargestellt. Das Heu, das sie im hinteren Zimmer aufgeschichtet hat, steht für die Erinnerung an die Spiele mit ihrem Zwillingsbruder in der Kindheit. Zwei mit Harz überzogene „Porträts“ von Ragwurzen hat sie dazugesellt und „Lisa“ und „Mimi“ betitelt – nach den Kuscheltieren, mit denen sie und ihr Bruder einst spielten. Erinnerung. Den Zwillingsbruder hat Leonora Prugger in einem anderen Gemälde verewigt: In einem hellen, ornamentalen Rahmen steigt aus dem blauen Grund ein Gesicht auf, eine Andeutung, eine Ahnung. Es ist ein Spiegel im Zuhause der Künstlerin, in dem sie manchmal zufällig – quasi im Vorübergehen – das Antlitz ihres Zwillings sieht, das sich mit ihrem eigenen überlagert.
Täuschung. In Blüten. In Himmeln. In Wiesen. In Bergen. Wir erkennen sie, weil wir uns an sie erinnern. Eine Wahrheit wie durch halb geschlossene Augen. Betörend, farbberauschend. Danke, Leonora.
21.09.2025